9. Nov. 2017

NATURBEOBACHTER AUS DER REGION


Starre, Ruhe oder Schlaf: verschiedene Strategien, um den Winter zu überstehen

Karl Josef Strank

In den Tropen herrschen gleichbleibende Umweltbedingungen. Es ist das ganze Jahr über immer warm und immer feucht. Jahreszeiten gibt es nicht. Weil es nicht friert, legen Pflanzen und Tiere keine Ruhephasen ein, die Lebensvorgänge vollziehen sich stetig auf gleichmäßig hohem Niveau. Tropische Bäume haben keine Jahresringe.

In unseren gemäßigten Breiten wechseln sich intensive Wachstumsphasen ab mit mehr oder weniger ausgedehnten Ruhephasen. Unsere Bäume haben ausgeprägte Jahresringe als sichtbares Ergebnis ihres Wachstums im Frühjahr, Sommer, Herbst und Winter. Im Herbst werden vor allem infolge des fehlenden flüssigen Wassers, die Lebensaktivitäten eingeschränkt. Die Winterknospen, Hibernakeln, werden ausgebildet, die Blätter welken und fallen ab. Die Pflanzen verbringen den Winter im Zustand der Dormanz, bis im Frühjahr die Lebenssäfte steigen und die Knospen erneut austreiben.

Bei Tieren kommt es zu einem ähnlichen Ruheverhalten. Bären, Dachse und Eichhörnchen unterbrechen im Winter ausgedehnte Ruhe- und Schlafphasen, die nicht allzu tief sind, häufiger für die Nahrungsaufnahme. Die Körpertemperatur wird aufrechterhalten und sinkt nicht ab. Allein die körperliche Ruhe bewirkt eine deutliche Einsparung der Stoffwechselenergie. Für die Nahrungsaufnahme haben Eichhörnchen zahlreiche Nahrungsvorräte angelegt und den Kogel winterfest hergerichtet.

Als Winterversteck, Hibernakulum, dienen natürliche Höhlen, Stollen oder geschützte Orte und gegrabene Erdtunnel, die belassen oder ausgepolstert werden. Die wichtigste Vorbereitung auf den Winter ist es, sich in den Sommermonaten genügend Speck anzufressen, damit die winterliche Zeit des Mangels möglichst gut überstanden wird.

Primitiv gebaute Organismen haben es einfacher. Einzeller wachsen und vermehren sich bei günstigen Lebensbedingungen und überdauern die schlechten Zeiten in einem Zustand latenten Lebens, der Anabiose, in der alle Lebensaktivitäten zum Erliegen kommen. Bestimmte Pflanzen, vor allem Moose und Farne, können komplett austrocknen. Dieses Verhalten nennt man Poikilohydrie. Bei der Zugabe von Wasser erwachen sie zu neuem Leben und nehmen die Stoffwechselaktivitäten vollständig wieder auf.

Reptilien halten im Gegensatz zu Säugetieren keine gleichleibende Körpertemperatur aufrecht, sie sind wechselwarm. Bei sinkenden Temperaturen fallen sie in Kältestarre. In diesem Zustand sind die Körperfunktionen nahezu ausgeschaltet. Sinkt die Temperatur unter Null Grad, erleiden sie den Kältetod. Um diesem zu entgehen, suchen sie zur Überwinterung frostgeschützte Plätze auf. Kröten graben sich in den Boden ein und Eidechsen und Schlangen ziehen sich in Spalten und Erdhöhlen zurück.

Mit genügend Honigvorräten

Regenwürmer haben eine sehr empfindliche Haut. Auf anhaltende Hitze und Trockenheit wie auch winterliche Kälteperioden reagieren sie so, dass sie tiefere Erdschichten aufsuchen. Eingerollt in mit Kot und Schleim ausgekleidete Erweiterungen ihrer Wohnröhren überstehen sie diese Zeit in Kälte-, Hitze- und Trockenstarre.

Bienen überleben mit genügend Honigvorräten die winterlichen Fröste im Stock dadurch, dass sie sich über die Waben hinweg zu einer Traube zusammenballen, in deren Mitte die Königin geschützt wird. Wärme erzeugen sie durch Muskelzittern. Reichen die Honigvorräte nicht aus, erfriert das Volk. Bei den Hornissen, Wespen und Hummeln überleben nur die Königinnen. Diese fliegen im Herbst gelegentlich noch auf der Suche nach frostfreien Unterschlüpfen, um in Winterstarre die Kälteperiode zu überstehen.

Fledermäuse, Igel, Hamster, Siebenschläfer und Murmeltiere halten echten Winterschlaf. Sie regulieren die Körperfunktionen auf ein Fünfzigstel der Sommeraktivität herunter und ersparen bis zu 88 Pozent der Energie, die ein vergleichbar großes, warmblütiges Tier aufbringen muss, um den Winter zu überstehen. Der Winterschlaf scheint auch uns Menschen angenehm, denn es heißt von guten und tiefen Schläfern nicht umsonst: Er schläft wie ein Murmeltier.

 

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zuletzt bearbeitet am 1.I.2018