3.Nov.2016

NATURBEOBACHTER AUS DER REGION


Nur durch Nutzung bleiben Streuobstwiesen erhalten

Karl Josef Strank

Obstwiesen stehen derzeit wieder hoch im Kurs. Das ist jetzt nicht mit Blick auf die Ernte von Äpfeln und Birnen in diesen herbstlichen Tagen gemeint, sondern generell. Obstwiesen werden allgemein wieder mehr geschätzt. Viele Obstwiesen sind in der Vergangenheit und werden auch heute noch für Wohngebiete „geopfert“. Dabei haben sie über Jahrhunderte das dörfliche Bild geprägt, denn sie lagen wie ein grüner Kranz um die Häuser herum bis dann weiter draußen Felder und Wald anfingen. Straßennamen, wie „Im Bongert“, heute ein Wohngebiet, weisen darauf hin, dass hier früher einmal ein ausgedehnter Baumgarten lag. Noch bis in die sechziger Jahre des letzten Jahrhunderts wurden diese traditionell genutzt. Neben Äpfeln und Birnen als Hauptfrucht wurden auch Pflaumen, Renekloden, Kirschen, Mirabellen, Quitten und gelegentlich Walnüsse angepflanzt. Nach dem Pflücken der Tafeläpfel und -birnen, die für den Verzehr oder zur Einlagerung über den Winter bestimmt waren, wurden die Bäume geschüttelt und das Fallobst gesammelt. Lose oder in Säcken fuhr man es karrenweise in die nächstgelegene Presse, von wo man bei der Ablieferung je nach Menge Flaschen frisch gepressten Apfelsaftes gleich mit nach Hause nehmen konnte.

Der Obstbau hat eine lange Tradition, denn Karl der Große schrieb den Anbau mit süßen, sauren, lagerfähigen, zum Einkochen und für den Frischverzehr geeigneten Sorten von Apfel, Birne, Pflaumen und Kirschen vor. Das Handwerk des Auslesens guter Sorten durch Veredeln und Pfropfen haben bereits die Römer mit nach Germanien gebracht. Das Kräuterbuch des Hieronymus Bauhinus von 1596 listet mehr als 50 Apfel- und 34 Birnensorten auf. Pfropfreiser waren sehr begehrt, und für längere Transporte verpackte man sie in einem Teig aus Honig, Baumöl und Moos, heute packen wir sie in die Kühlbox. Die Zahl der Sorten in Deutschland wird auf etwa 3000 geschätzt.

Obstwiesen wurden für Tafelobst und für die Mosterei genutzt. Sie lieferten Grünfutter und Heu fürs Vieh, Holz und Reisig zur Feuerung der Backöfen. Sie waren und sind eine hervorragende Bienenweide, und nebenbei werden Heilkräuter und Laubstreu genutzt. Die heute als extensiv eingestufte Nutzung war ehedem eine sehr intensive, denn Obstwiesen waren in viele Tätigkeiten des dörflichen Lebens eingebunden, die heute fast niemand mehr ausführt. Neue Bedeutung ist den Obstwiesen aber zugewachsen für die Ökologie als Biotopverbundsysteme. Die Streuobstbestände vermitteln zwischen den Siedlungsbereichen und den umliegenden Wiesen, Weiden, Äckern, Brachflächen, Waldrändern und Wäldern. Sie tragen mit ihren offenen und lockeren Strukturen zu einer Kammerung der Landschaft bei. Ökologen bezeichnen sie als „savannenartig“.

Besonders wertvoll macht die Obstwiesen die Vielfalt der Pflanzen- und Tierarten, denen sie Lebensraum geben. Der Ortolan, auch Gartenammer genannt – heute stark gefährdet – findet hier seine Heimat, ebenso Klein- und Mittel- sowie Grau- und Grünspechte. Der Steinkauz lebt in Obstwiesen, wenn das Gras kurzgehalten wird und er Mäuse jagen kann. Fledermäuse, Garten- und Siebenschläfer, Schmetterlinge, Käfer, Hornissen und Wildbienen gehören zum Bestand. Dieses Arteninventar führt zu hohen Wertigkeiten bei Eingriff-/Ausgleich-Regelungen, die bei Haus-, Straßenbau, Versiegelung etc. den Naturverlust kompensieren. Von daher werden Obstwiesen wieder häufig neu gepflanzt.

Damit ist es dann aber nicht getan. Werden die Flächen sich selbst überlassen, entwickeln sich zwar schöne Brachen, die verbuschen und zuwachsen, von Obstwiese kann aber keine Rede mehr sein. Die Obstbäume im Aachener Rabental an Gut Melaten werden regelmäßig geschnitten, damit sie nicht wie Besen aussehen, sondern in der Krone luftig und locker bleiben und gute Früchte ansetzen. Der Freundeskreis verwertet das Obst bei Ernte- und Versaftungsaktionen mit den Paten, die dort einen Baum erworben haben und Schulen, die sich daran beteiligen. Nur so können wir die Bäume und die alten Sorten auf Dauer erhalten.

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zuletzt bearbeitet am 31.XII.2016