27.Okt.2016

NATURBEOBACHTER AUS DER REGION


Vom Wert der alten Apfelsorten

Angelika Greif

Sie möchten einen Apfelkuchen backen, nach Omas Rezept. Möglichst sollte er auch so schmecken wie damals. Und was finden Sie im Supermarkt, auf der Suche nach den wundervollen Äpfeln Ihrer Kindertage?

Der Apfel ist bei einem jährlichen Pro-Kopf-Verbrauch von 23,5 Kilogramm des Deutschen liebstes Obst. Dem steht jedoch eine erstaunlich dürftige Sortenpalette gegenüber: Von ursprünglich mehr als 1000 Apfelsorten sind in Deutschland heute gerade noch etwa 20 bis 30 Sorten von wirtschaftlicher Bedeutung, und nur sieben bis acht dieser „Global Player“ gelangen ins Obstregal – allen voran Elstar und die Jona-Sorten.

Es sind vor allem ökonomische Gründe, die aus Apfelsorten Marktführer machen – der Weltmarkt braucht Äpfel, die sich auch weltweit verkaufen lassen. Immer öfter wird Tafelobst gefordert, das transportfest ist, einheitlich groß ist, makellose Früchte liefert und immer gleich schmeckt – egal aus welchem Land es kommt. Diese Kriterien der Markteignung machen deutlich, dass der Geschmack nicht immer im Vordergrund stehen muss.

Wie kommt nun Omas Apfelkuchen zu seiner wichtigsten Zutat? „Alte Obstsorten“ sind heute alle Sorten, die vom Erwerbsobstbau nicht mehr angeboten werden. Ihre Ursprünge können bis über das 17. Jahrhundert hinaus zurückreichen oder auch erst 100 Jahre alt sein. In dieser Zeitspanne entstand aus Zufallssämlingen deutschlandweit eine Vielzahl an regionale Gegebenheiten gut angepasster Apfelsorten. Mitte des 19. Jahrhunderts hatte der deutsche Obstbau dann etwa 1000 Apfelsorten zu bieten, die extensiv auf Streuobstwiesen angebaut wurden.

Nach dem Zweiten Weltkrieg jedoch rückte die rationelle Produktion von Plantagenobst in den Vordergrund. Es wurden Abholzungsprämien gezahlt, großkronige Hochstämme auf Streuobstwiesen mussten Niederstämmen weichen, die leichter zu beernten sind. Auf derselben Fläche stehen dadurch heute zehn- bis 20-mal so viele Bäume – und immer weniger Sorten.

Was geht uns mit dem Verlust der alten Apfelsorten verloren? Das hängt vom Blickwinkel ab, von Weitsicht und von speziellen Bedürfnissen.

Zunächst in puncto „Markteignung“: Die heutigen Ertragsapfelsorten sind genetisch sehr eng verwandt und somit schlecht gerüstet für Änderungen der Anbaubedingungen wie Klimawandel oder neue Schädlinge. Nur wenn eine breite genetische Basis erhalten wird, das heißt eine Vielzahl von Sorten mit unterschiedlichen Merkmalen, steht diese auch zukünftig für die Züchtung neuer Sorten zur Verfügung.

Auch Apfelallergien kann man begegnen, wenn man das umfangreiche Inhaltsstoffspektrum alter Sorten zu nutzen weiß. Für die Verträglichkeit einer Apfelsorte spielt ihr Gehalt an Polyphenolen eine wichtige Rolle. Neue Apfelsorten weisen nur geringe Mengen dieser sekundären Pflanzenstoffe auf – sie wurden wegen des säuerlichen Geschmacks und der schnelleren Bräunung nach Anschnitt des Apfels weitgehend herausgezüchtet.

Alte Apfelsorten wie Goldparmäne, Berlepsch oder Gravensteiner hingegen weisen einen Polyphenol-Gehalt auf, der bis zu einem Drittel über dem der neueren Züchtungen liegt und sie für Apfelallergiker verträglich macht. Auch eine Desensibilisierung ist durch regelmäßigen Konsum dieser Apfelsorten möglich – solange sie verfügbar bleiben. Doch Streuobstwiesen, die früher um landwirtschaftliche Betriebe angesiedelt waren, verschwinden – allein in den letzten 40 Jahren gingen in Nordrhein-Westfalen 74 Prozent der Streuobstwiesen verloren. Nicht umsonst ist dieser Lebensraum in der „Roten Liste der gefährdeten und vom Aussterben bedrohten Biotoptypen“ zu finden. Mit ihm sind seine Bewohner wie Steinkauz, Siebenschläfer oder Hornisse vom Aussterben bedroht.

Aus den ehemals gängigen alten Apfelsorten sind „lokale“, „regionale“ oder „Eigenbedarfssorten“ geworden. Jeder kann dazu beitragen, alte Sorten zu bewahren – ohne eigenen Garten durch Kauf von regionalem Sortenobst oder Streuobstsäften, als Garten- oder Obstwiesenbesitzer durch die Anpflanzung regionaler Sorten. Wo neuere Sorten an suboptimalen Boden- und Klimabedingungen scheitern, sind alte Sorten oft robuster und ertragreicher. Standorteignung macht sich halt doch bezahlt . . .

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zuletzt bearbeitet am 23.XII.2016