16.April 2015

NATURBEOBACHTER AUS DER REGION


Eine Pflanze, die im Volksmund viele Namen trägt: die Vierblättrige Einbeere

Karl Josef Strank

In der Krautschicht von Buchen- und Eichenwäldern aber auch in Nadelmisch- und Auwäldern findet sich eine Pflanze, die mit ihrer vorwiegend lindgrünen Farbe unter den anderen Kräutern so gut getarnt ist, dass sie leicht übersehen wird: die Vierblättrige Einbeere, mit botanischem Namen Paris quadrifolia. Hat das Auge sie einmal erfasst, sieht man sie gleich zu mehreren, denn sie wächst meist truppweise. Sie braucht feuchte, nährstoffreiche, humose Böden. Der deutsche Name verweist auf die Frucht, die als eine einzige Beere in der Mitte der einzigen Blüte steht, die diese Pflanze jährlich hervorbringt.

Die Einbeere ist eine ausdauernde Pflanze, die mit einer durchgehenden Hauptachse waagerecht im Boden wächst, von der seitlich die Blütentriebe abgehen, die eine Höhe bis 30 Zentimetern erreichen. Dieses Wuchsverhalten ist unter den Rhizomgeophyten sehr selten, denn die meisten verzweigen seitlich. Die Rhizome wachsen an der Spitze weiter, sterben von hinten ab und können einige Jahre alt werden. Aus Niederblättern entstehen seitlich die Blühtriebe, immer nur ein Stängel pro Jahr. Dieser ist besetzt mit einem Quirl von vier ovalen, ganzrandigen, zugespitzten Blättern. Die einzige, endständige zwittrige Blüte ist radiärsymmetrisch und setzt die Vierzähligkeit des Systems fort. Die Blütenhülle besteht aus vier breiteren Perigonblättern außen und vier schmäleren, fadenförmigen innen. Danach folgen zwei mal vier grüne Staubblätter, deren gelbe Pollensäcke mittig und seitlich ansitzen. Zentral in der Mitte steht der aus vier zusammengewachsenen Fruchtblättern bestehende Fruchtknoten, der zur Fruchtreife eine schwarze glänzende Beere bildet. Zu diesem Zeitpunkt zeigen Perigon- und Staubblätter, letztere verfärben sich zudem rötlich, nach unten und exponieren die reife Frucht für Vögel und Säugetiere, die die Samen über ihr Verdauungssystem verbreiten.

Die Einbeere blüht von Mai bis Juni und fruchtet von Juli bis September. Alle Pflanzenteile sind giftig und enthalten Saponine. Der Arzt Carl August Wibmer testete 1831 im Selbstversuch ein Dekokt aus „Rhizoma Paridis“ und verspürte außer „etwas Kopfweh und einem dumpfen Gefühl“ keine besondere Wirkung. Er konstatierte: „Hiernach sind der Wurzel von Paris quadrifolia wenig bedeutende Kräfte eigen.“ Dennoch sollten gerade die Beeren nicht verzehrt werden.

Interessant sind die verschiedenen volkstümlichen Namen der Vierblättrigen Einbeere. Vierblatt, Creutz Christi, Kreuzkraut und Sternkraut nehmen Bezug auf die kreuz- beziehungsweise sternförmig angeordneten Blätter und Blütenhüllblätter. Einbeere, Augenkraut, Krähenauge und Glotzbeere beziehen sich auf Stellung und Aussehen der Beere. Und Dollbeere, Totenbeere, Teufelsbeere, Wolfsbeere, Fuchstraube und Hundskirsche stellen ab auf die Giftigkeit.

Den Namen Paris benutzten zuerst die Kräuterbücher des 16. Jahrhunderts. Naheliegend ist die Anspielung auf den trojanischen Königssohn Paris, der sein Urteil über die Schönheit der Göttinnen Hera, Athene und Aphrodite (drei Stängelblätter) mit dem Erisapfel (Beere) fällt. Sprachwissenschaftler brandmarken das aber als eine der vielen, müßigen etymologischen Legenden, die jeglicher Grundlage entbehren, denn die Herkunft des Namens gilt als völlig ungeklärt.

Im Garten findet die Vierblättrige Einbeere im feuchten und schattigen Bereich ihren Platz. Sie passt zu Bingelkraut, Aronstab und Salomonsiegel, kann sich gegen letztere aber meist nicht durchsetzen. Deutlich besser behauptet sich eine nahe Verwandte, die früher als Paris polyphylla geführt wurde und heute zur Gattung Daiswa gestellt wird.

Hierzu gehören 15 Arten aus Südost-Asien. Als gartenwürdig erkannt und relativ gut wüchsig ist nur Daiswa polyphylla in Kultur. Sie benötigt einen schattigen Platz mit locker humosem, gleichbleibend feuchtem Boden und einem hohen Anteil von Laubkompost. Die kräftigere Pflanze sieht der Einbeere sehr ähnlich, bringt aber Stängel bis zu einem Meter hervor. Der Blattquirl hat sechs bis zwölf Blätter, die Blüte vier bis sechs manchmal sieben Perigonblätter. Die glänzend schwarze Beere ist sechskantig und deutlich abgeplattet. Der erste Anblick von Daiswa polyphylla hinterlässt den Eindruck eines Super-Paris.


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zuletzt bearbeitet am 14.V.2015