12.Febr.2015

NATURBEOBACHTER AUS DER REGION


„Heute back‘ ich, morgen brau‘ ich“ - Rumpelstilzchen und die Mikrobiologie

Joachim Schmitz

„Heute back‘ ich, morgen brau‘ ich, übermorgen hole ich der Königin ihr Kind.“ Zumindest in meiner Generation ist jeder mit diesem Spruch aus dem Grimmschen Märchen vom Rumpelstilzchen aufgewachsen. Aber da steckt weit mehr dahinter als nur ein Kindervers. Tatsächlich wurde bis ins 19. Jahrhundert hinein in denselben Räumen zuerst Brot gebacken und dann Bier gebraut.

Das liegt daran, dass für beide Prozesse dieselben Mikroorganismen benötigt werden. Früher wurde Brot bei uns grundsätzlich aus Sauerteig hergestellt. Bei einem Gemisch von Mehl und Wasser passiert erst mal gar nichts, bis Bakterien und Hefen dazu treten, die das Mehl zuerst zu Zucker zerlegen und diesen dann in verschiedenen Gärungsprozessen zu Alkohol, Milchsäure u.a. Produkten abbauen. Dabei wird jede Menge Kohlendioxidgas gebildet, das den Teig auftreibt. Die nebenbei entstehenden Säuren bestimmen den Geschmack (Sauerteig!) und wirken gleichzeitig als natürliche Konservierungsmittel.

Davon hatte man zunächst keine Ahnung und es war lange ein reines Glücksspiel, ob ein Teigansatz wirklich aufgeht, weil es davon abhing, welche wilden Bakterien und Hefen angeflogen kamen. Wenn Fäulnisbakterien überwogen haben, konnte das auch schon mal ziemlich in die Hose gehen. Deshalb haben Bäcker von funktionierenden Teigen immer etwas zurückbehalten, womit sie dann neue Teigansätze „impfen“ konnten. In der modernen Lebensmitteltechnik nennt man so was eine Starterkultur. Beim klassischen dreistufigen Sauerteig wird dreimal frischer Teig zugesetzt und dann jeweils gewartet, bis sich Bakterien und Hefen über den Teig verbreitet haben und ihn vergären.

Ähnlich verhält es sich mit dem Brauen. Dass man das Getreide erst mal mälzen muss, hatte man schon relativ früh raus. Gekeimte Getreidesamen bilden von sich aus Enzyme, die Getreidemehl in Malzzucker verwandeln, und damit brauchte man die Bakterien nicht, die aus der Getreidestärke überhaupt erst gärfähigen Zucker machen. Aber für die alkoholische Gärung ist dieselbe Hefe wie für den Sauerteig verantwortlich. Von all dem wusste man bis ins späte Mittelalter gar nichts. Aus Erfahrung wusste man aber, dass in Backräumen, in denen der Sauerteig gelungen ist, anschließend auch das Brauen erfolgreich abläuft. Heute kann man das so erklären, dass eben von den beim Sauerteig aktiven Bakterien und Hefen Sporen im Raum herum schweben und sofort auch den anschließend angesetzten Brausud infizieren und damit zum gewünschten Ergebnis führen.

Louis Pasteur deckte diesen Zusammenhang in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts auf und identifizierte die Bierhefe Saccharomyces cerevisiae als entscheidenden Mikroorganismus. Der Däne Emil Christian Hansen konnte dann als Erster einzelne Hefestämme isolieren. Er war bei einer dänischen Brauerei angestellt und hat die dort gefundene Hefe dann auch prompt Saccharomyces carlsbergensis genannt. Ob es wirklich berechtigt ist, das als eigene Art zu beschreiben, möchte ich stark anzweifeln. Aber damals war man eben noch so drauf, jede unterscheidbare Form als eigene Art zu behandeln. Viel wichtiger ist aber, dass Hansen die Hefe nicht nur isoliert, sondern auch zu einer „Reinzuchthefe“ weitergezüchtet hat. Seither hat man die Gärung von Teig, Bier und Wein nicht mehr dem spontanen Sporenflug überlassen, sondern gezielt speziell für die gewünschte Gärung selektierte Hefesorten zugesetzt.

Heute werden für alle entsprechenden Gärungsprozesse, egal ob Bier, Wein oder Brot, (außerhalb der EU auch schon gentechnisch veränderte) Reinzuchthefen verwendet. Das hat naturgemäß dazu geführt, dass die Produkte immer ähnlicher schmecken, was prompt eine Gegenbewegung ausgelöst hat. Manche jungen Brauer und Winzer setzen wieder auf Spontangärung, d. h. sie fügen keine Kulturhefen zu, sondern warten ab, was sich einfach so dazu einfindet.

Im Bierland Belgien gibt es übrigens Biersorten, die traditionell immer noch aus Spontangärung entstehen. Lambic und Geuze sind solche Sorten. Sie beruhen darauf, dass in den Sudhäusern die wilden Hefen Brettanomyces lambicus und Brettanomyces bruxellensis herumfliegen.


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zuletzt bearbeitet am 3.IV.2015