12.Juni 2014

NATURBEOBACHTER AUS DER REGION


Der Duft der Blumen und die „wolkenlose Weite des Himmels“

Ulrike Zahnow

Gerade jetzt, zu Beginn des Frühsommers, verwöhnt die Natur unsere Sinne mit den vielfältigsten Düften. Die ersten Rosen blühen im Garten, die wilden Hundsrosen verströmen ihren feinen blumigen Duft. Der Holunder blüht in Fülle mit seinem süßlichen Wohlgeruch. Auch viele Bäume, wie zum Beispiel die Linde, locken mit einem berauschenden Aroma.

Jede Pflanzenart produziert ihren eigenen, unverkennbaren Duft, der intensiv oder schwach, angenehm oder eher aufdringlich wahrgenommen werden kann. Dabei empfindet jeder Mensch die Pflanzendüfte etwas anders, je nach Ausprägung unserer Geruchsnerven oder der Erinnerungen, die wir mit dem Duft verbinden.

Der charakteristische Duft der Pflanzen wird größtenteils durch ätherische Öle hervorgerufen. Das Wort „Äther“ stammt aus dem Griechischen und bedeutet „Himmelsluft“ oder „wolkenlose Weite des Himmels“. Denn ätherische Öle verdunsten schnell und verbreiten sich weitläufig in der Umgebung.

Vor allem in den Blüten vieler Pflanzen, oft aber auch in den Blättern, wie bei Minze, Rosmarin und Tannennadeln oder in der Schale wie bei Zitronen und Orangen, werden die ätherischen Öle produziert und über Spaltöffnungen oder Duftdrüsen nach außen abgegeben.

Gehalt und Zusammensetzung dieser Öle in der Pflanze ändern sich in Abhängigkeit der Jahres- und Tageszeiten sowie der klimatischen Bedingungen. Daher wird die Rose zur Gewinnung von Rosenöl in der Türkei am frühen Morgen gesammelt, später wäre bereits ein Großteil der ätherischen Öle verdunstet. In unseren Breiten dagegen wird die Rose erst gegen 10 Uhr geerntet, weil sich erst dann genügend ätherische Öle entwickelt haben. Kräuter für den eigenen Haustee sammelt man am besten gegen Mittag an einem bedeckten Tag, wenn es vorher einige Tage nicht geregnet hat.

Die Heilwirkung der ätherischen Öle ist sehr vielfältig. Sie können keimhemmend, krampflösend, beruhigend, belebend oder schleimlösend sein. Da sie bei starkem Erwärmen verloren gehen, gibt man Gewürze, die ätherische Öle enthalten, erst ganz kurz vor dem Anrichten zu den Speisen.

Warum duften Pflanzen? Eigentlich hat der Duft der Blumen weniger den Sinn, den Menschen mit Wohlgerüchen zu erfreuen als eher das Überleben der Pflanze zu sichern. Blütendüfte ziehen vor allem Insekten, aber auch Kolibris und sogar manche Fledermausart unwiderstehlich an. Der Duft verspricht ihnen reiche Ernte von Pollen und Nektar. Im Vorbeifliegen befruchten sie im Gegenzug die Blüte.

Der jeweilige Geruch der Pflanze ist genau auf den passenden Bestäuber abgestimmt. Bienen und Hummeln zum Beispiel lieben den Duft der Rosen, Schmeißfliegen bevorzugen Pflanzen mit Aasgeruch wie den Aronstab.

Die meisten Blumen verströmen tagsüber ihren Duft, da der Großteil der Insekten und anderer Tiere am Tage aktiv ist. Um nachts nicht unnötig ihre Duftreserven zu verbrauchen, schließen sie häufig nachts ihre Blütenkelche.

Im Hellen blühende Pflanzen locken vor allem durch ihre leuchtend bunten Blüten, ihr Duft ist weniger ausgeprägt als bei Nachtfalterblumen, deren Blüten eher schlicht in weiß und cremefarben gehalten sind. Sie machen stattdessen durch intensive, schwere Duftnoten auf sich aufmerksam.

Bei Pflanzen, die in ihren Blättern ätherische Öle enthalten, haben diese eine andere Funktion: sie vertreiben Fressfeinde. Salbei und Rosmarin verbreiten für uns Menschen ein würziges „Küchenaroma“, das jedoch andere Fressfeinde verjagt. Beim Lavendel erfüllt der Duft zwei Aufgaben zugleich: Bienen lieben den Duft, Schafe dagegen verabscheuen den scharfen Geschmack der Duftstoffe in Blüten und Blättern und halten sich von den Pflanzen fern.

Manche Pflanzen nutzen ihre speziellen Ausdünstungen sogar als Notruf: die Limabohne sendet chemische Stoffe aus, wenn sie von Spinnmilben befallen wird. Diese locken eine andere Milbenart an, die mit Vorliebe Spinnmilben verspeist. Auch die noch nicht befallenen Nachbarpflanzen senden vorsorglich diesen Duft aus, um einem Angriff vorzubeugen.

In südlichen Regionen dienen in den Blättern enthaltene ätherische Öle den Pflanzen als Schutz vor dem Austrocknen. Über Dictamnus albus, auch Brennender Busch genannt, hält sich das Gerücht, dass er im Hochsommer so viele ätherische Öle abgibt, dass diese sich an heißen Tagen selbst entzünden können.

Einige Orchideen-Arten nutzen das Prinzip der Anlockung durch ätherische Öle für ihre Zwecke: Die Insekten fliegen die Blüte in der Hoffnung auf leckeren Nektar an und bestäuben sie. Leider müssen sie dann aber feststellen, dass kein Nektar zu vergeben ist. Das ist zwar nicht fair, aber sehr effektiv.

 

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zuletzt bearbeitet am 3.VII.2014