23.Jan.2014

NATURBEOBACHTER AUS DER REGION


Vom Heißkleber zum Edelstein, der Frauenherzen höher schlagen lässt

Ulrike Zahnow

Wer an einem Sonntagnachmittag durch den Wald spaziert, kann bei genauem Hinschauen am Stamm von Fichten, Kiefern und Tannen gläserne oder milchige Verdickungen erkennen. Oft ist es auch nur eine etwas zähe, klebrige Masse, die an der Rinde entlang nach unten gelaufen ist und als dünne Fließspur oder als verwitterte Verfärbung der Borke wahrzunehmen ist.

Hierbei handelt es sich um Harz, ein Stoffwechselprodukt, das in speziellen Zellen erzeugt und in den Harzkanälen der Nadelbäume transportiert wird. Wenn ein Baum verletzt wird, z.B. durch einen Axthieb, Wildverbiss oder Schädlingsbefall, tritt an dieser Stelle flüssiger Harzbalsam nach außen und verschließt die Wunde. Dieser Balsam ist eine Kombination aus Harzen mit ätherischen Ölen. An der Luft erstarrt er langsam, und die ätherischen Öle verdunsten. Der besondere Duft und die Klebrigkeit gehen dadurch größtenteils verloren und Harz entsteht. Das Weichharz oder „Gummi“ von Laubbäumen klebt und riecht kaum. Man kennt es als Ahorn- und Birkensirup. Gummifluss kommt auch bei manchen Obstgehölzen vor, wenn der Baum eine verletzte oder von Schädlingen befallene Stelle aufweist.

Zur kommerziellen Harzgewinnung wurde früher die Rinde von Kiefern oder Fichten keilförmig entfernt, das darunter liegende Holz eingeschnitten und ein Auffanggefäß angebracht. Mit dem Schnitt wanderte man langsam höher. Pro Stamm und Jahr konnten so drei bis vier Kilogramm Harz gewonnen werden. Die Spuren der Beerntung kann man in manchen Regionen an sehr alten Bäumen heute noch sehen.

Bei allen Beschädigungen des Stammes tritt das Harz auch in das benachbarte Gewebe aus, wodurch das Holz „verkient“. Dieses harzreiche Holz wurde früher als Lichtquelle verwendet. Man hackte dazu den Stamm an den Rindenverletzungen in kleine Stücke und spaltete sie in lange Späne. Die brennenden Kienspäne wurden als eine Art „Taschenlampe“ im Mund gehalten oder in einen tönernen oder schmiedeeisernen Halter gesteckt.

Unsere Vorfahren nutzten Baumharz als Heißkleber, zum Verkitten von Rissen in Holzschalen, zum Abdichten von Nähten oder um Körbe wasserundurchlässig zu machen. Mit Alkohol verdünnt ergab das Harz eine Art Firnislack. Bei kultischen Anlässen verräucherte man das Harz von Kiefer und Fichte, kostbare Räucherharze aus dem Orient waren Weihrauch und Myrrhe.

Frauenherzen schlugen zu allen Zeiten höher beim Anblick von Schmuckgegenständen aus Bernstein. Dieser Edelstein ist ein Beispiel für ein fossiles Baumharz, das vor Jahrmillionen aus den Wunden urzeitlicher Nadelbäume ausgetreten und unter Luftabschluss und Druck versteinert ist. Mit viel Glück kann man im Urlaub an der Ostsee das eine oder andere Bröckchen Bernstein am Strand finden.

Heutzutage wird Harz für die Herstellung von Lacken, Seifen, Arzneistoffen und Terpentin verwendet. In Griechenland versetzt man den Wein bei der Zubereitung von Retsina mit dem Harz der Aleppo-Kiefer.

Sehr interessant ist die Tatsache, dass Waldameisen trockene Harzbröckchen in ihre Nester tragen und diese in ihre Nestkuppel einbauen. Das Harz wird bei Sonneneinstrahlung weich, verklebt die oberen Nadelschichten und bewirkt so eine Imprägnierung. Man vermutet, dass das Baumharz zusätzlich durch seine antibiotische Wirkung in gewissem Umfang Pilzsporen und Bakterien abtötet, sodass die Ameisen dadurch ihr Nestmaterial sterilisieren. Auch beim Menschen kann die heilende Wirkung des Harzes genutzt werden, z.B. als Wundverschluss oder als Zugsalbe, um Splitter zu entfernen. Weihrauch wirkt bei chronischen Entzündungen schmerzlindernd und abschwellend.

Wer nun Lust bekommen hat, selbst mit Baumharz zu experimentieren, sollte beim Ernten darauf achten, alte Baumwunden nicht wieder zu öffnen und den Baum nicht zu verletzen. Die klebrigen Finger lassen sich anschließend ganz einfach mit Speiseöl wieder reinigen.

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zuletzt bearbeitet am 13.IV.2014