17.Jan.2013

NATURBEOBACHTER AUS DER REGION


Symbol der Stärke: Bäume und Wald in Mythen und Grimms Märchen

Mechthild Feese

Der erste Baum wird im Alten Testament erwähnt. Er stand im Paradiesgarten und trug die Äpfel, die für alle Zeiten den Menschen zum Verhängnis werden sollten: Die Menschen wurden aus dem Paradies vertrieben.

In der Antike bekamen Bäume eine positive Bedeutung. Da lesen wir in Ovids Metamorphosen, wie Philemon und Baucis als Belohnung für Dienste, die sie den griechischen Göttern erwiesen hatten, in eine Eiche und eine Linde verwandelt wurden und wie die Nymphe Daphne zum Schutz gegen die Nachstellungen Apolls mit Hilfe der Artemis zu einem Lorbeerbaum erstarrte. Bäume galten von jeher als ein Symbol der Stärke, sagt man doch von einem kraftvollen Mann: „Er ist stark wie ein Baum“. Bäume boten Schutz und Rückzugsmöglichkeiten. In dieser Funktion tauchen Bäume immer wieder im Märchen auf. Im Folgenden beziehe ich mich vor allem auf die Märchen der Gebrüder Grimm, deren Gedenken in diesem Jahr gefeiert wird.

Hänsel und Gretel, Brüderchen und Schwesterchen, Allerleirauh und das Marienkind schlafen unter einem Baum oder in einem hohlen Baum und sind so vor Räubern und wilden Tieren geschützt.

Die Bäume rauschen und raunen und wispern, sie sprechen aber nicht. Sollen Botschaften übermittelt werden, übernehmen Vögel, meistens weiße Tauben diese Aufgabe.

Vom Baum aber werden wunderschöne Kleider und Schuhe aus Silber und Gold und mit Edelsteinen besetzt herabgeworfen, damit sich das wunderschöne Mädchen schmücken kann: „Bäumchen, rüttel dich und schüttel dich, wirf Gold und Silber über mich!“ sagt Aschenputtel zum Baum am Grabe ihrer Mutter.

Bäume tragen wundersame Früchte, die gesammelt werden müssen von der Gold- und der Pechmarie in Frau Holle, die eine große Rolle spielen als Äpfel des Lebens im Märchen von der weißen Schlange, und deren Geheimnis der Junge herausfinden muss, der als Ameise verkleidet in den Falten des Rocks von des Teufels Großmutter sich versteckt hält im Märchen vom Teufel mit den drei goldenen Haaren. Ein Apfel ist auch die Frucht, die die böse Stiefmutter dem Schneewittchen anbietet. Ein Bissen genügt, und das Mädchen fällt wie tot zu Boden.

Von oben herab

Der Wipfel eines Baumes bietet auch Schutz und Verstecke, um von dort aus Räuber zu beobachten und wie das Katerlieschen in dem gleichnamigen Märchen vom Frieder und Katerlieschen die Räuber mit Hutzeln, Essig und zum Schluss sogar mit einer Haustür in die Flucht zu schlagen und das Räubergut und das Gold zu ergattern. Vom Baum herab ärgerte das tapfere Schneiderlein zwei Riesen mit Steinwürfen und brachte sie so in Zorn, dass sie sich gegenseitig erschlugen.

Eine grässliche Geschichte

Unter Bäumen waren Schätze vergraben. Doch in dem plattdeutschen Märchen vom Machandelboom begrub die Schwester die Knochen ihres Bruders unter einem Wacholderbaum. Ihre Stiefmutter hatte den Jungen erschlagen, hatte ihn dann gekocht und seinem Vater als Mahlzeit vorgesetzt, der sie auch noch mit großem Appetit verspeist hatte. Ein weißer Vogel erzählte dann die grässliche Geschichte.

Ein ganzer Wald steht für Schutz und Geborgenheit, in den die Märchengestalten vor bösen Mächten wie Stiefmüttern, habgierigen Königen, hinterlistigen Jägern und missgünstigen falschen Freunden fliehen. Das machen Hänsel und Gretel, die Bremer Stadtmusikanten, Schneewittchen und die sieben Zwerge, Brüderchen und Schwesterchen. Gleichzeitig aber verkörpert der Wald auch das Unheimliche und das Böse: Im Wald lauert der Wolf dem Rotkäppchen auf, Hexen wohnen dort, die die Menschen verwünschen und verzaubern. Rapunzel wird in einem Turm im tiefen Wald gefangen gehalten, und die Quellen im Walde raunen: „Wer aus mir trinkt, der wird ein Wolf“ oder „Wer aus mir trinkt, der wird ein Reh.“

Zum Schluss überzieht ein undurchdringliches holziges Dornengestrüpp ein ganzes Schloss mit Mann und Maus und Dornröschen, und die ganze Welt muss 100 Jahre schlafen.


voriger Artikel ← | → nächster Artikel

Auswahl nach Erscheinungsdatum

Auswahl nach Themenstichwort

Startseite

zuletzt bearbeitet am 26.I.2013