29.Apr.2010

NATURBEOBACHTER AUS DER REGION


Mandragora officinarum – Die Pflanze, der ein mächtiger Zauber innewohnt

Karl Josef Strank

Es ist schon eine eigenartige, wenn nicht gar fantastische Vorstellung, dass gewisse Pflanzen, wenn man sie berührt, sich als grüne Männlein oder Weiblein entpuppen, die sich wie Kobolde zappelnd bewegen und den Gärtner ohrenbetäubend anschreien. So gesehen in dem Film Harry Potter, Teil 2 „Die Kammer des Schreckens“, in dem die Zauberlehrlinge ein Praktikum über magische Pflanzen absolvieren und die Aufgabe haben, Alraunen umzutopfen. Dass sie sich dieser Aufgabe widmen kann nur eines bedeuten, dass diesen Pflanzen ein mächtiger Zauber innewohnt.

Das Symbol des Glücks

Das glaubten die Menschen seit alters her, denn die Alraunwurzel stand als „das“ Symbol für Glück zu jeder Zeit und in allen Lebenslagen. Wer eine Alraunwurzel besaß, schätzte sie über alle Maßen, denn mit ihr konnte er das launische und flüchtige Glück festhalten.

Schon der Name hat einen fremden und geheimnisvollen Klang. Das althochdeutsche Wort alruna bezeichnet ursprünglich altgermanische mythische Wesen und Naturdämonen wie Alben und Elfen, die im Geheimen wirken und mit Zauberkräften ausgestattet sind. Der Name wurde schließlich auf eine Wurzel aus dem Orient übertragen, die Mandragora, ein im Mittelmeergebiet beheimatetes Nachtschattengewächs. Wie Tollkirsche, Bilsenkraut und Stechapfel enthält sie Alkaloide z.B. Atropin, Hyoscyamin und vor allem Scopolamin, die bei Genuss Zustände hervorrufen wie Aufregung, Unruhe, Tobsucht und ähnliches. Bereits in der Antike benutzten ägyptische Ärzte einen mit Wein hergestellten Auszug der Wurzel, um Kranke zu betäuben und in Schlaf zu bringen. Auf diese medizinische Verwendung verweist der Artname „officinarum“ für ein Arzneimittel aus der Apotheke. Nach wie vor unklar ist die Herkunft des Namens Mandragora. Eine Deutung rekurriert auf die altpersischen Bezeichnungen von mardom und ghiah, was „Menschenpflanze“ oder „Manneskraut“ meint und sich auf die kräftige, tief reichende Pfahlwurzel bezieht, die regelmäßig geformt und oft gespalten ist. Sie ähnelt einem Körper mit Armen und Beinen. Einige glaubten sogar einen Mann oder eine Frau zu erkennen. Ein in der Erde wachsender kleiner Mensch aber, ein leibhaftiger Homunculus, hat zu allen Zeiten die Fantasie der Menschen angeregt und in den Bann geschlagen.

In der Genesis ist von einer wohlriechenden Pflanze dudaim mit tomatenähnlichen Früchten die Rede, der aphrodisische Wirkung zugeschrieben und die vielfach als Mandragora gedeutet wird. In seiner Bibelübersetzung wählte Luther dafür das Wort Liebesäpfel, womit er den aphrodisischen Aberglauben stark beförderte. Dioskorides, römischer Militärarzt des 1. Jahrhunderts n.Chr., behandelt die Alraune ausführlich in ihren medizinischen Eigenschaften, bringt sie aber auch mit Hexen und der Zauberin Circe in Verbindung, weil die Pflanze „zu den Zauberreyen der Liebe wird gerühmt“. Die abstrus anmutenden mittelalterlichen Vorschriften zum Ergraben der Alraunwurzeln gehen auf den Bericht seines Zeitgenossen, des römischen Geschichtsschreibers Flavius Josephus (Geschichte des jüdischen Krieges) zurück. Er schreibt: „Man umgräbt sie rings so, dass nur noch ein kleiner Rest der Wurzel unsichtbar ist. Dann bindet man einen Hund daran, und wenn dieser dem Anbinder schnell folgen will, so reißt er die Wurzel aus, muss sich aber für den, der die Pflanze haben will, auf der Stelle opfern.“ Diese absonderlichen Rituale wurden im Mittelalter noch weiter ausgesponnen durch Erzählungen, dass die Alraunen unter den Hinrichtungsstätten wachsen und gleichsam das Leben der Gehenkten in sich aufnehmen.

Krämer und Quaksalber

Es war im Interesse von tüchtigen Krämern, Marktschreiern, Quacksalbern und geschäftstüchtigen Henkern, diese Geheimnisse um die Alraunen zu schüren, denn sie handelten mit den Wurzeln und den Sehnsüchten und Ängsten, den Wünschen, Hoffnungen und Träumen der Käufer. Sie vertrauten auf den unausrottbaren Glauben an die Zauberkraft dieser Pflanze und die ewig alten mythischen Vorstellungen, dass gute Geister und Kobolde dem Menschen beistehen, ihm Glück, Gesundheit, Reichtum und Hilfe in jeder Situation bringen. Rudolf II., König von Böhmen, zahlte nachweislich 100 Taler für eine solche Zauberwurzel. Für damalige Verhältnisse ein kleines Vermögen.

Doch wo viel Geld zu machen ist, ist Betrug nicht fern. Zahllose Alraunen-Fälschungen wurden für gutes Geld angeboten. Als Männlein und Weiblein geschnitzte Schrumpel-Talismane von Zaunrübe, Runkelrübe, Löwenzahn, Salat etc. waren im Umlauf. Noch 1910 bot das Kaufhaus Wertheim „Glücksalraunen“ an. Nach eingehender Untersuchung stellten sich diese Schrumpelwurzeln eben-falls als, wenn auch hochwertige, Fälschung heraus. Es handelte sich schlicht um präparierte Wurzeln der Siegwurz (Allermannsharnisch), einer Alpenpflanze und Zwiebelverwandten, von der man glaubte, sie mache unverwundbar.

Als Bestandteil der Hexensalbe neben Bilsenkraut, Tollkirsche und Stechapfel war die Alraune heiß begehrt. Der Mix aus verschiedensten Alkaloiden auf die Haut gerieben, erhitzte und berauschte derart, dass die Hexen das Gefühl von Leichtigkeit, Schweben und gar Fliegen halluzinierten. Manche(r) dürfte auch heute noch in der bevorstehenden Walpurgisnacht solche Erfahrungen suchen.


 

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zuletzt bearbeitet am 10.IX.2010